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sursulapitschi

Posted on 29.4.2024

Die Ukraine war wohl schon immer ein schwer umkämpftes Land. Erin Litteken zeigt uns die Situation dort im Zweiten Weltkrieg anhand einer Geschichte, die sich ganz nah an ihrer eigenen Familiengeschichte bewegt. 1941 übernehmen die Nazis die Ukraine und werden zunächst als Retter gefeiert. Aber sehr bald zeigt sich, dass die nicht besser als die Russen vor ihnen sind, oder als die Polen vor den Russen. Dass es die Ukraine noch gibt, ist ein Wunder. Das ist eine verwickelte Situation, die Tragödien verursacht hat und die man in diesem Buch direkt plastisch vorgeführt bekommt. Lillija verliert ihren Bruder und ihre Mutter schon im ersten Kapitel. Ganze Familien werden vertrieben, enteignet, verhaftet, als wäre es nichts. Und es werden auch wahllos Menschen zur Zwangsarbeit in deutschen Fabriken eingezogen. Wer zur falschen Zeit am falschen Platz ist, hat Pech gehabt. Sogar die elfjährige Halya nehmen sie mit. Das alles wird eindringlich und gefühlvoll beschrieben. Man ist sehr nah dran an den Figuren und leidet mit. Ab und an sind so geballte Grausamkeiten kaum auszuhalten, aber genau so muss man sich das Ganze wohl vorstellen. Der Erzählstil ist intensiv bis blumig. Die poetischen Beschreibungen des Ambientes haben mir gutgefallen. Wenn es um die Gefühle der Protagonisten geht, war es mir oft zu pathetisch. „Mit jedem Atemzug nahm der Schmerz in ihrer Brust zu. Es war, als würde sie Glassplitter einatmen, die ihr ins Herz stachen, sodass Emotionen hervorbrachen, die sie lange geleugnet hatte.“ So etwas ist Geschmackssache. Trotzdem ist die Lektüre wirklich spannend und mitreißend. Die Geschichte erzählt von Menschen, die viel ertragen müssen, dabei über sich hinauswachsen und sich auch immer wieder gegenseitig helfen in einer Welt voller Willkür. Es erklärt anschaulich die komplizierte historische Situation der Ukraine als Spielball verschiedener Mächte, Interessen und Begehrlichkeiten und zeigt sogar, wie Polen gleichzeitig Freunde und Feinde sein können. Am Ende wird alles vielleicht ein bisschen zu gut, um wahr zu sein, aber das haben wir uns dann wirklich verdient nach all dem Leid. Dieses Buch ist keine leichte Lektüre, aber informativ und anrührend. Ich bin beeindruckt und kaufe mir jetzt einen Kalynabusch. Die Beeren helfen gegen alles.

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